Artikel aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

 

Bei diesem Text ist mir bald die Hutschnur geplatzt. Der Artikel ist in keinster Weise recherchiert oder objektiv, einfach nur grottenschlecht und hetzerisch, aber bildet euch selber eine Meinung...

Dem Himmel zu nah
Schwarz, schwarz, schwarz sind alle meine Kleider: Rund 20 000 Gothics oder Grufties haben sich am Wochenende in Hildesheim zum M'era-Luna-Festival versammelt – ein düsteres Spektakel der Eitelkeit und der Todessehnsucht .



Regenschirme. Überall. Dabei ist es heiß. Brüllend heiß. Und es gibt keinen Schatten. Keine Unterstellmöglichkeit. Daher die Schirme. Nicht vor Regen, vor der Sonne schützen sie. Gebräunte Haut ist bei M’era Luna, dem größten Gothic-Festival Europas mit dem schönen Phantasienamen, verpönt. Das Sonnenlicht scheuen die 20 000 Gothics oder Grufties, wie sie umgangssprachlich genannt werden, die sich am Wochenende auf dem kleinen Hildesheimer Flugplatz getroffen haben, wie die Vampire.

Es ist eine Versammlung der Lichtscheuen. Es ist eine eitle Gesellschaft. Die rund 30 Bands auf der Bühne und im Hangar spielen nur eine Nebenrolle. Hier sind die Besucher die eigentlichen Stars. Sie zeigen sich. In weiten, schwarz gefärbten Reifröcken. In brokatverzierten Korsetts. In kniehohen Schnürstiefeln mit Silberbesatz. Sehen und gesehen werden – darum geht es hier. Und um eine bestimmte Attitüde. Mit ernster Miene schreiten sie über das Gelände. Todesnähe ist den Gothics ins Gesicht geschrieben. Dazu dröhnen dumpf die dunklen Klänge der Stars der Szene. Bands wie „Nightwish“ mit ihren opernhaften, getragenen Gesängen, wie „Deine Lakeien“ oder die finnische Gruppe „Apocalyptica“.

Gothic ist keine neue Bewegung. Schon Ende der Siebziger tanzten schwarz gekleidete Punks mit langsamen Bewegungen zu der Musik von Bands wie „Bauhaus“ und „The Cure“. Und es gibt immer neuen Nachwuchs. Die Düster-Rock-Pops „HIM“, die im vergangenen Jahr bei M’era Luna zu Gast waren, sind inzwischen sogar massenkompatibel geworden und fester Bestandteil des MTV-Kanons.

Aber was sind das für Leute, die sich bei Sahara-Temperaturen in schwarzen Klamotten in die Sonne stellen? Es sind Leute wie Bernd aus Kassel. Der 26-Jährige wiegt sich langsam vor der großen Bühne zum düsteren Metal-Klanggemisch einer der Bands. Er trägt eine schwarze Wollmütze, dazu ein durchsichtig-schwarzes Hemd und einen knöchellangen Rock. „Wir sind gefühlsbetonte Menschenkinder, Romantiker in einer bunten Vielfalt emotionsgeladener Musikkulturen“, sagt er. Die Flucht in die Nacht ist für ihn ein geordneter Rückzug aus einer konsumorientierten Gesellschaft. Melancholie als Gefühlsdroge, als Ausbruch aus dem täglichen Einerlei, aus der Angst vor der Zukunft. Bernd schwitzt, verwischt sich das weiße Make-up im Gesicht. „Wir fühlen eine seelische Finsternis, eine unstillbare Sehnsucht, dem Tod nahe zu sein.“ Aber wieso das? Abgesehen von Rock und Mütze macht Bernd einen ganz normalen Eindruck. „Unser Stil verleiht uns eine symbolische Artikulationsmöglichkeit. Wir sind eine Gemeinschaft der Einsamen.“ Bernd sagt gerne „Wir“. „Wir haben einen ganz eigenen Stil, der scharf artikuliert ist.“

Teil des Stils ist auch die intensive Beschäftigung mit Religion. Die schwarze Szene gibt sich großteils betont antichristlich, verwendet gleichzeitig aber auch eine wilde Kombination von christlichen, magischen und heidnischen Symbolen alter Kulturen. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht Satan oder ein Gott, sondern der Tod als übergeordnete Macht, der sich kein Mensch entziehen kann. Das Ganze ist nicht nur ernst gemeint. „Wie willst du jemanden ernst nehmen, der morgens eine Stunde braucht, um sich die Haare zu machen“, sagt Rüdiger aus Erfurt, der selbst einen gewaltigen Irokesenschnitt trägt und als einziges farbiges Element einen knappen Schottenrock angezogen hat. Rüdiger steht mitten in der Zeltstadt und gießt sich gegen die Hitze Wasser über die Beine. Auf einem Zeltdach wenige Meter entfernt steht ein Kreuz, an das jemand einen Teddy genagelt hat. Und einige Festival-Besucher tragen schwarze T-Shirts mit dem selbstironisch gemeinten Schriftzug: „Sonne macht albern.“

Es ist eine Szene, die eng zusammenhockt. „Gothics sehen sich als eine große Familie“, sagt Elke Ulferts, Sprecherin der Hamburger Konzertagentur Scorpio, die das M’era Luna-Festival vor fünf Jahren aus dem Zillo-Festival entwickelt hat. „Hier sieht man immer wieder die gleichen Gesichter.“ Es ist ein Aufmarsch der uniformierten Nonkonformisten. „Inzwischen gibt es hier ein regelrechtes Markenbewusstsein. Es ist wichtig geworden, was du wo gekauft hast“, sagt Martin. Der Erfurter macht da dennoch nicht mit. „Die besten schwarzen Klamotten gibt es bei C&A.“

Und Gothic fordert seine Opfer. So wie Anne aus Marburg. Sie ist blass. Leichenblass. Fast durchsichtig. Auch die Lippen. Eigentlich findet sie das schön. „Elegant“, sagt sie. „Irgendwie geheimnisvoll.“ Normalerweise schminkt Anne sich das Gesicht weiß. Immer dann, wenn sie sich mit Freunden trifft. Nachts. Bei Vollmond auf dem Marburger Friedhof am Rothenberg. Doch diesmal ist Anne nicht geschminkt. Anne liegt auf einer Liege in einem Zelt der Johanniter-Unfall-Hilfe. Anne ist umgekippt. Einfach so. Gerade als „After Forever“ auf der Bühne standen. Auf die hatte Anne sich gefreut. Weil sich die Sängerin mit ihrer opernhaften Stimme über den Metal-Gitarren so schön schaurig anhört. Anne ist eine von fast 600, die am Wochenende unter der sengenden Sonne in ihrer schwarzen Kleidung kollabiert sind. „Das ist dreimal so viel, wie wir es bei normalen Veranstaltungen dieser Größe und bei diesen Temperaturen erleben“, sagt Einsatzleiter Mohammed Taam von der Johanniter-Unfall-Hilfe. „Die Leute kleiden sich einfach nicht wettergemäß, und sie trinken zu wenig Wasser.“

Am schlimmsten hat es einen zwei Monate alten Säugling getroffen. Das Baby hatte den ganzen Sonntag in der Sonne gelegen und musste schließlich völlig dehydriert in ein Krankenhaus gebracht werden. Da war die Todesnähe plötzlich ganz real.


Stephan von Kolson

Veröffentlicht 10.08.2003 18:45 Uhr